Achtsame Kommunikation

von Dr. Barbara E. Meyer
„Dann ist es wieder passiert“ erzählt Nora „ich habe den Kollegen angeraunzt, wegen einer totalen Kleinigkeit, die ganz leicht mir auch hätte passieren können. Und ich wusste, dass es eigentlich nur war, weil ich selbst so genervt war. Und noch während ich ihn angeschnauzt hab, hat es mir leid getan, aber irgendwie… konnte ich nicht anders!“. Vermutlich kennen Sie solche Situationen auch. Eigentlich hätten Sie gerne achtsam und rücksichtsvoll mit dem anderen gesprochen, aber aus unserem Mund hat sich – irgendwie – eine andere Reaktion entschlichen. Das Gefühl, als Mensch auch das Recht zu haben, mal schlecht gelaunt zu sein ringt mit dem Wissen, dass es nicht fair war und die Reaktion noch unliebsame Folgen haben könnte. Aber wie können wir es schaffen, in solchen Momenten trotz eigenem „Rucksack“ bewusst, offen, achtsam zu kommunizieren?
Was ist achtsame Kommunikation?
Der erste Zugang zu dieser Frage ist die Überlegung, was achtsame Kommunikation überhaupt bedeutet. Nach einer häufig zitierten Definition von Kabat-Zinn (1982) ist Achtsamkeit eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die absichtsvoll ist, sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht (statt auf Vergangenes oder Zukünftiges) und nicht wertend ist. Achtsame Kommunikation wäre demnach ein Sich-Mitteilen oder Zuhören, bei dem Sie ganz bewusst die Aufmerksamkeit in das Hier und Jetzt legen und keine Wertung vornehmen.
Wann wir nicht achtsam kommunizieren
So können wir mit dem Gefühl „Ich bin genervt!“ unmöglich achtsam kommunizieren. Denn hier liegt der Fokus auf einer Begebenheit in der Vergangenheit, die wir werten (dies geht der Reaktion „genervt sein“ voraus). Alles, was uns davon abhält, unser Gegenüber oder uns selbst ganz im Hier und Jetzt und ohne eine Wertung zu fokussieren hält uns von achtsamer Kommunikation ab. Das können weitere Gedanken sein, die uns beschäftigen („ich muss jetzt dann gleich unbedingt…“, „das hätte er nicht machen dürfen“) oder durch Wertungen verursachte Gefühle, die uns blockieren („ich habe keine Lust/bin genervt/wütend“ etc.)
Innehalten
Die ersten beiden Schritte hin zu einer achtsamen Kommunikation sind daher 1. ein Innehalten, um im Moment anzukommen und 2. ein Loslassen, um sich von Wertungen zu distanzieren. Das klappt natürlich nicht immer auf Anhieb. Daher gibt es manchmal Sinn, sich aus der Situation zu entfernen und in harten Fällen, z.B. wenn man sich gedemütigt vorkam, auch einige Nächte darüber zu schlafen. Doch in anderen Fällen können verschiedene Tricks dabei helfen, wieder zu sich zu kommen. So hatten die Teilnehmer_innen einer meiner Kurse folgende Ideen:
Im Hier und Jetzt ankommen:
- tief durchatmen
- einen imaginären „Reset“-Knopf am Schreibtisch drücken
- sich darauf konditionieren, z.B. bei der Berührung von Daumen und Mittelfinger eine achtsame Haltung zu erlangen
- Aufmerksamkeit auf die Farben/Formen/Geräusche/Gerüche der Umgebung
lenken
Abstand nehmen von den eigenen Gefühlen:
- sich vorstellen, wie die bewertete Situation noch viel schlimmer hätte sein können
- Vorstellung von sich selbst am Urlaubsstrand
- Vorstellung einer bizarren, witzigen Situation (z.B. wie alle im Büro mit
Clownnasen Tango tanzen)
Wer eine achtsame Haltung immer wieder übt, dem fällt es zunehmend leicht, auch in schwierigen Situationen eine achtsame Haltung (wieder zu) erlangen. Zur Achtsamkeitspraxis gibt es eine ganze Reihe von Veröffentlichungen und Kursen; wenn Sie daran Interesse haben, melden Sie sich gerne bei uns. Eine Idee, die ich unterstützenswert finde, ist ein Online-Achtsamkeit-Kurs, den die Trainerkollegin und Neurowissenschaftlerin Britta Hölzl entwickeln möchte. Sie freut sich über Förderer: https://www.startnext.com/iam-onlinetraining.
Achtsam kommunizieren.
Wenn es gelungen ist, eine achtsame Haltung herzustellen, können die eigenen Anliegen z.B. mit einer Ich-Botschaft (siehe Rogers, Gordon) oder durch die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation (Rosenberg) formuliert werden. Oder aber die Aufmerksamkeit achtsam auf das Gegenüber gelenkt werden, z.B. indem ihm aktiv zugehört wird (siehe abermals Rogers oder Gordon). Erst durch die achtsame Grundhaltung entfalten diese bekannten Kommunikationstechniken meiner Erfahrung nach ihr volles Potential.

Die Autorin
Dieses Nähkästchen wurde von Barbara E. Meyer verfasst.
Kontaktieren Sie bei Interesse barbara.meyer [at] sprachraum.org
Jon Kabat-Zinn:
An outpatient program in behavioral medicine for chronic pain patients
based on the practice of mindfulness meditation: Theoretical
considerations and preliminary results.
In: General Hospital Psychiatry. 4 (1), 1982, S. 33–47,
doi:10.1016/0163-8343(82)90026-3.